Zweite Nacht / Erster Traum

Die Wächter zirkeln auf ihren Köpfen
Von Blut überbordende Blicke folgen jedem meiner Flutschritte
Sie durchdringen die Seide ihrer Röcke
Das Rasseln ihrer Stimmen wie das Kratzen von Mäusen im Schober

Die Beamten treten erstmals von unten nach oben
Ihre manikürten Füsschen schlagen das Hochwasser schaumsteif
In ihren Näschen wohnen die Glasaale
Ihre Schöpfchen sind wirr und sind mit Pinseln gut verankert

Die Gärtner haben sich in ihr Schicksal ergeben
Vor dem Nabel formen ihre Schaufelhände ein grosses O
Ihre rosa Wimpern gleichen den Fühlern von munteren Flussgarnelen
Ihre wettergegerbten Stirnen leuchten wie eine aufgeschlagene Muschel im trüben Wasser

Aus den Schössen von Konkubinen steigen Blasen auf
Mit roten runden Gesichtern streben sie dem Himmelsspiegel zu
Mit geschliffenen Zähnen grasen sie die Füsse der Träumenden ab
Die Konkubinen in ihren weiten Röcken entfalten ihr scheues Krebsfleisch in Wolken

Der Herrscher selbst trägt ein Hufeisen im Gesicht
Seien Arme tanzen befehlend wie Seegras um ihn herum
In seinen Augen wohnen glitzernd die ufernahen Pfrillen
In seiner immer schon offenen Brust lauert wie immer schon der Hecht.

(Image by Brigitte Werner from Pixabay).

Marianne

In der weiten Stadt du
Mit Fragen für mich
Hast du schon einmal geliebt?
Unter verwindeten Haaren
Denn der Wind in der weissen Stadt will dir wohl
Das jüngste Gesicht einer Frau
Die Nasenspitze resolut in den Himmel gedreht
Die grauen Augen wie rollende Katzen im Meer

Unsere Zettel flattern durch die Marmorgalerien der Stadt
Über die Marmorbrücken hallen die Rufe unserer Augen
Durch die weiteste Stadt springt der Ring deines Rocks

In der weissen Stadt du
Mit Fragen für mich
Ich finde Hände halten gut für den Anfang und du?
Und ich lese
Du möchtest noch nicht geküsst werden
Höchstens unter Brücken im Geraspel der Zeit
Und ich schreibe
Ich möchte deinen Körper leuchten sehen zwischen all den Kuttenschatten wie eine gute Narbe
Und für Jahre erhalte ich keine Blicke mehr
Verschwindest du zwischen den Vätern
Die Marke deines Lächelns stempelt den zu blauen Himmel mit dem Anschein einer Wolke

Du findest mich in der weiten Stadt
Als langtest du nur kurz in deine Handtasche
Grau umfängt mich der Rock deines Blickes
Kühl und ingwern
Ich finde dich auf der Treppe die nicht endet
Und ich schreibe
Mein Zettel zerknittert und nass von meiner Wange
Ich liebe deine Knöchel und die lockende Wade
Weiss wie die Stadt
Du sagst
Du wirst noch zum Italiener
Und du sagst
Komm zu mir
Breitest deinen Rock über meinem Kopf
Die Wärme deines Geschlechts auf meinem Scheitel

In der weissen Stadt du
Ich zähle die Perlen deines Lachens
Und lege sie in mein Gedicht
Und Fragen werden Antworten
Antworten werden Fragen
Deine Wangen verfärben sich abendlich
Und wo nichts mehr lebt in Steinen
Reichst du mir einen Orangenschnitz

(Das Bild „Das Rätsel der Uhr“ von Giorgio di Chirico ist gemeinfrei.)